Der politisierte Chemie-Student: Saul Löwenberg

Saul Löwenberg, Sohn eines jüdischen Kaufmanns, studierte Chemie und Medizin in Berlin und Leipzig. Auf seinem Abgangszeugnis der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität (heute Humboldt-Universität) aus dem Jahr 1847 ist sein Name als „Paul“ falsch vermerkt. Eigenhändig änderte er das Dokument, strich den „Paul“ und schrieb „Saul“ darüber. Nach dem Studium bereitete Saul seine Promotion „Über die anorganischen Bestandteile der Pflanzen“ vor, arbeitete im Labor bei dem berühmten Berliner Chemiker Gustav Magnus.

Die Berliner Universität beschreibt der Publizist Ernst Dronke in dieser Zeit als „ein Treibhaus für gehorsame Staatsprinzipien, eine Pflanzschule für schweigenden Glauben an die Autorität der Politik und Religion.“ Berliner Studenten durften keine politischen Vereine gründen. 1843 beantragten deshalb ein Viertel aller Immatrikulierten die Gründung eines „Lesevereins“. Sie verbargen damit ihren Wunsch, die drängenden Fragen der Zeit diskutieren zu können, hinter einem vermeintlich unpolitischen Bildungsinteresse. Das Gesuch wurde abgelehnt. Sie gründeten nun kleine Lesezirkel, in denen sie verbotene Bücher lasen und diskutierten. „Je mehr sie verboten waren, desto mehr glaubte man ihnen“, berichtete einer später.

Ab 1846 war Saul, der in der Oberwallstraße 6 unweit der Universität wohnte, vermutlich regelmäßiger Gast in der „Zeitungshalle“, einem Lesecafé in der Oberwallstraße 12/13, in dem auch ausländische Zeitungsberichte diskutiert wurden. Im gleichen Gebäude gab Gustav Julius die radikal-demokratische Zeitung „Berliner Zeitungs-Halle“ heraus. Am 6. März 1848 kamen Studenten und Demokrat:innen zu einer Versammlung „In den Zelten“ zusammen. Der Ort war ein kleines Vergnügungslokal im Tiergarten vor dem Brandenburger Tor. Er lag außerhalb der Stadtgrenzen und garantierte damit eine gewisse Sicherheit vor der Polizei. Die Versammlung beauftragte drei Teilnehmer, eine „Adresse der Jugend“ an den König vorzubereiten – unter ihnen Saul Löwenberg. Am nächsten Tag, dem 7. März, verabschiedeten über 600 Menschen im Tiergarten nach vierstündiger Diskussion eine Resolution, die im Inhalt radikal, aber in der Form unterwürfig, demokratische Forderungen enthielt. Die von Saul Löwenberg verfasste Resolution war in Berlin die erste offen demokratische Manifestation. Eine Delegation der Versammelten verabredete sich für den folgenden Abend in der „Zeitungshalle“, um zu beraten, wie dem König die Adresse zugespielt werden könnte. Am Treffpunkt wartete aber bereits Berlins Polizeipräsident von Minutoli und warnte die Delegierten, darunter Löwenberg, sehr eindringlich, die Petition dem König persönlich ins Schloss zu bringen. Stattdessen schlug er vor, die Forderungen in einen Briefkasten zu werfen und die Zustellung der Stadtpost zu überlassen. Die ratlosen Delegierten beriefen für den 9. März eine dritte Versammlung ein. Es fiel die Entscheidung, die Adresse zunächst der Stadtverordnetenversammlung zur Beratung zu übergeben. Die Stadtverordneten entschieden jedoch am 11. März sich mit einem eigenen – moderateren – Forderungskatalog an den König zu wenden.

Wie sich Saul in den Folgetagen verhielt, ist nicht bekannt. Wir wissen nur, dass er selbst am 18. März auf den Barrikaden an der Oberwallstraße kämpfte. Eine Kugel durch die Brust verwundete Saul schwer. Sein Studienfreund aus der Leipziger Zeit Nathanael Pringsheim, später ein berühmter Biologe, pflegte ihn am Krankenbett, aber die für Ende März in Halle angesetzte Promotionsprüfung musste er absagen und verlegen. Bald danach verliert sich die Spur von Saul. Noch 1850/51 waren sein Freund Pringsheim und er als neue Mitglieder der Berliner Physikalischen Gesellschaft gemeldet. Saul Löwenberg gründete dann eine kleine chemische Fabrik in Berlin und meldete 1861 ein Patent an, aber eine akademische Laufbahn war für ihn als Jude und Revolutionär völlig aussichtslos.